MYRA

 Der_Fremde_Wald

Der Fremde Wald

Wenn man von Miktonos kommend auf den Fremden Wald zusteuert, kommt man in ein leicht hügeliges Gelände, welches dann aber abrupt vor dem alten Wall, der nie fertiggestellt wurde, endet.

Der Fremde Wald liegt zu Füßen dieser Hügel wie ein Meer, das an die Küste rollt; seine Ränder sind teilweise über den Wall bis an die Hügel gezahnt, als hätten die Bäume ihre Wurzeln in die Steigungen gekrallt und verweigerten seither den Rückzug. Das dunkle, verschieden getönte Grün des Waldes erstreckt sich bis zum Horizont. Der Wald sieht aus dieser Nähe förmlich trotzig aus; so, als ob er jede Durchquerung verbieten will.

Traut sich dann doch jemand, den Wald zu betreten, so scheint es für ihn, als ob er wie ein Stein ins Wasser fällt. Gerade eben noch bewegte er sich auf den Waldrand zu und im nächsten Augenblick ist er schon in die Düsternis des Waldes eingedrungen. Ein Gefühl, als ob der Wald einem Raubtier gleich vorgeprescht wäre, um sein Opfer mit einem Bissen zu verschlingen. Fremde haben wegen dem üppig wuchernden Dickicht und den recht eng aneinander stehenden Bäumen Schwierigkeiten, weiter in den Wald vorzudringen, ein ganzes Heer müßte sich erst mühselig den Weg bahnen.

Die Bäume haben fleckige, ebenholzschwarze und rostbraune Stämme. Sie sind im Schnitt fünf bis acht Meter hoch, dann verbreitern sie sich in knorrige, durchhängende Äste zu einer von Laub schweren Krone. Darunter wird der Reisende völlig in Düsternis getaucht. Das Astwerk verwebt sich ineinander. Es hat den Anschein, als würden sich die Bäume gegenseitig stützen. Von den Ästen hängen beachtliche Strähnen und mancherorts sogar richtige Vorhänge aus Laubmoos herab – dunkles, dickes, feuchtes Moos, das von den Ästen baumelt wie dickflüssiges Blut, im Fließen erfaßt und erstarrt.

 Der weiche, moosige Untergrund schluckt jedes Geräusch der Fortbewegung. Sofern man von Fortbewegung in diesem Wald sprechen kann. Es hat manchmal den Anschein, daß sich im Wald die Wege verändern, und den Wanderer entweder in eine der zahllosen Fallen führen, die sich im Wald befinden müssen, oder wieder genau an den Punkt, wo man den Wald betreten hatte.

 So geschah es jedenfalls mir und meinen Begleitern, als wir uns aufmachten, dem Fremden Wald sein Geheimnis zu entreißen.

 

 Es war genau am 16. des Siwan, als ich mit 20 Mann Begleitung den Wald betrat. Schon nach wenigen Stunden wußte selbst unser Fährtenleser nicht mehr, in welche Richtung wir gerade gingen. Das Blätterdach war wie eine Decke, die keinen direkten Blick zum Himmel gestattete. Es drang auch nur gerade soviel Licht zu uns, das wir vielleicht 20 Meter Sicht gehabt hätten, wenn uns nicht die Bäume und das Moos daran gehindert hätten. Den ersten Zwischenfall bemerkten wir wahrscheinlich erst Stunden später. Uns fiel bei unsere ersten Rast auf, das zwei der Bewaffneten fehlten. Niemand hatte ihr Verschwinden bemerkt, obwohl sie in der Mitte unserer Gruppe zuletzt gesehen wurden.

 Noch während das Lager aufgeschlagen wurde, überfiel uns eine Art Insekt, oder vielmehr ein ganzer Schwarm davon. Jedes einzelne von ihnen war ca. 5 cm lang und hatte an seinem Kopf zwei Zangen, mit denen es sich an sein Opfer klammern konnte. Was dann genau geschah, kann ich leider nicht berichten. Außer, das die von den Insekten gebissenen anfingen zu schreien, wie ich noch nie einen Menschen schreien gehört hatte. Sie warfen sich auf den Boden und wälzten sich wie Wahnsinnige auf dem Boden. Wohl um die Insekten dadurch abzustreifen oder zu zerquetschen. Sie erreichten aber nur, daß sich noch mehr von den Insekten in sie verbissen. Bei einem meiner Männer konnte ich beobachten, wie er von einem dieser Tiere in die Wange gebissen wurde und diese sich sofort anfing schwärzlich zu verfärben und anzuschwellen. Sie schwoll so sehr an, daß die Haut aufplatzte und ein tiefschwarzer Schwall Blut hervorschoß. Sofort machte sich das Insekt daran, sich in das Fleisch meines Mannes hineinzufressen und war innerhalb einer Sekunde nicht mehr zu sehen.

 

 Dies war der Zeitpunkt, wo ich mich voller Panik auf mein Pferd schwang und gegen alle Vernunft versuchen wollte, dieser tödlichen Gefahr zu entfliehen. Ich danke auch heute noch, 40 Jahre danach, den Göttern dafür, daß ich dem Fremden Wald entfliehen konnte oder durfte.

 Plötzlich öffnete sich wie ein Vorhang der Wald und ich konnte den Waldrand sehen. Wir waren nicht einmal 500 Meter in ihn vorgedrungen. Ich nutzte die Gelegenheit und gab meinem Pferd die Sporen. Kaum hatte ich den Wald verlassen und mein Pferd gewendet, war von dem Durchgang nichts mehr zu sehen. Der Wald lag wieder still und friedlich vor mir. So gut der Fremde Wald friedlich sein kann.

 

 Armon Zugloserum