MYRA

 Der_Mast_ist_geborsten

Der Mast ist geborsten
oder
Warum die Krötenmenschen nicht an der Küste von Allennos fischen

 

“Vater, warum werfen wir unsere Netze eigentlich nie vor der Steilküste im Machairas aus? Das liegt doch viel näher!”

“Ach Quappe, das ist eine nicht besonders erfreuliche Geschichte da kannst Du heut’ abend Deinen Großvater nach fragen - und jetzt gib’ auf das Segel acht, der Wind frischt auf!”

...

“Großvater, warum ist es verboten, an der Menschlingküste zu fischen? Hat das was mit dem Krieg zu tun?”

“Hm, junger Mann, willst Du das wirklich wissen? Nun gut, ich werde Dir dazu etwas erzählen, aber warte bis nach dem Abendbrot, damit es Dir nicht den Appetit verdirbt.”

...

“Also, kleiner Schlüpfling, jetzt erzähle ich Dir die Geschichte von Rzzddrddln und seinem Vater Plttfsch, welche das jüngste Beispiel dafür ist, warum wir uns seit Jahrhunderten von der allennosischen Steilküste fernhalten.”

“Rzzddrddln? Ist das nicht der Fettkröt aus dem Nachbardorf, der so lange bei seiner Mutter gewohnt hat, bis die ihn ‘rausgeworfen hat? Der dann in die große Stadt gegangen ist? Der ist doch nie fischen gegangen - oder sonstwohin!”

“Willst Du die Geschichte nun hören oder nicht? Rzzddrddln ist der Sohn eines Fischers, und er ist als kleine Quappe oft mit seinem Vater fischen gefahren.”

“Wirklich? Erzähl’ doch, Großvater, bitte!”

“Nun gut, ich werde noch meine Mohnpfeife stopfen ... so .... und mich bequem hinsetzen ... so ... und die Füße hochlegen ... so .... Ahh, jetzt bin ich bereit. Also. Als Du noch nicht geboren warst, lebte im Nachbardorf ein Fischer mit dem Namen Plttfsch. Er hatte ein Weib, das hieß Tsn-Ld, und einen Sohn, das war Rzzddrddln. Dieser Plttfsch war ein leichtsinniger Bursche, auf Dorffesten trank er zuviel und er war ein Spieler, der seiner Hände Arbeit für einen Knochenwurf aufs Spiel setzte. Er hielt auch wenig von der Tradition und der Weisheit der Alten, sondern schätzte seine eigenen Ansichten über die aller Anderen. So lachte er auch nur über die Warnungen vor den finsteren Klippen der Allennosen. Oft kam er zurück von dort mit seinem Boot und zeigte stolz die reiche Beute, die er dort gemacht hatte.

Als Rzzddrddln in Deinem Alter war, vielleicht etwas jünger, durfte er seinen Vater im Boot begleiten und fuhr täglich mit ihm hinaus.

Eines Tages jedoch kehrten Plttfsch und Rzzddrddln nicht zurück. Die Sonne ging unter, es wurde dunkel, und langsam wurden die anderen Fischer unruhig. Drei Stunden nach Sonnenuntergang waren die beiden noch immer nicht zurückgekehrt, und die besorgte Tsn-Ld hatte die Fischer zusammengetrieben, damit sie noch einmal in ihre Boote stiegen, um nach den beiden zu suchen. Mit Fackeln und eisernen Feuerkörben bestückt, liefen alsbald die Fischerboote des Dorfes aus, und befuhren, was sie sonst, selbst bei Tageslicht nie taten, die Straße des Unglücks. Die ganze Nacht suchten sie mit klopfenden Herzen, doch fanden sie keine Spur von den beiden Kröten und ihrem Boot.

Erst im Morgengrauen erspähten sie ein Fischerboot, daß scheinbar ohne Führung und ohne Ziel in den Wellen dümpelte. Schon von weitem sah man, daß der Mast geborsten war, und an Bord regte sich nichts. Voller Angst und voller Sorge näherten sich die wackeren Fischer dem Boot, denn sie wußten wohl, warum sie die Straße des Unglücks sonst mieden. Ihr wahrer Name ist nämlich Strt-Fld, was soviel heißt wie Straße der Dämonen. Es heißt nämlich, daß die Menschlinge, die dort auf den Klippen leben, dort finstere Rituale abhalten, und man munkelt sogar von Menschenopfern, welche die Klippen hinabgestürzt werden, um Dämonen zu füttern ... Doch zurück zu unserer Geschichte ... wo war ich ... ach ja. Also, unsere wackeren Fischersleute warfen also Haken und holten das Boot heran, um zu sehen was dort vorgefallen war. Doch an Deck des Bootes bot sich ihnen ein schrecklicher Anblick. Der Kröt, der mir davon erzählte sagte mir, daß ihn das, was er dort sah, noch immer in seinen Träumen verfolgt. Der Mast war, wie gesagt geborsten, und das gesamte Deck, ja das gesamte Boot war voller geronnenen Blutes. Schlimmer noch, überall lagen Einzelteile von Lebewesen herum, Knochen, Eingeweide, Hautfetzen, als hätte eine Horde Dämonen hier gespeist - und mittendrin lag der blutige Kopf einer jungen Menschin mit langem, silbernem Haar, der Ausdruck abgrundtiefen Entsetzens für immer auf ihrer glatten Larve eingebrannt ...”

“Großvater, was erzählst Du dem Jungen für Geschichten, da kann er bestimmt nicht schlafen, schäm’ Dich! Und Du, junger Mann, gehst jetzt sofort ins Bett! Keine Widerrede!”

“Och, Mutter, die Geschichte ist doch noch gar nicht zu Ende! Ich weiß ja noch nicht mal, was mit Rzzddrddln passiert ist, er muß ja noch gelebt haben.”

“Das stimmt, kleiner Schlüpfling, er saß zusammengekauert im hintersten Winkel des Bootes, blutüberströmt wie alles andere auch, und starrte stumpf und besinnungslos vor sich hin. Die Fischer haben ihn in einen anderen Kahn gehoben und nach Hause gebracht. Das Unglücksboot haben sie treiben lassen. Rzzddrddln hat nie erzählt, was auf dem Kahn vorgefallen ist, aber er ist seitdem nie wieder zur See gefahren, und hat die Hütte seiner Mutter nie mehr verlassen - bis sie ihn letztes Jahr hinauswarf.”

“Ich habe doch gesagt, Du sollst ins Bett gehen! Und putz Dir die Kauleisten!”

“Ja, Mutter. Und danke, Großvater! Gute Nacht!”