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Kultur-Ansichten

subjektive Kultur-Praxis in "Welt der Waben" oder wie man Kultur schreibt.

 Von Werner Arend

 Nachdem ich nun als Spieler und Spielleiter von WdW vor beiden Seiten einige Erfahrungen mit dem gemacht habe, was so herrlich vereinfachend als Kulturberichte bezeichnet wird, halte ich es für angebracht, meine diesbezüglichen Ansichten denen mitzuteilen, die ein paar Tips nicht gleich als Bevormundung auffassen. Dieser kleine Artikel ist als Anregung gedacht, insbesondere für die Spieler, die neu anfangen, und sich Gedanken machen, wie sie denn ihre Kultur aufbauen sollen. Da Kultur eine subjektive Angelegenheit ist, beanspruchen meine hier geäusserten Ansichten keine Allgemeingültigkeit, sondern sollen als Diskussionsgrundlage dienen und ich würde mich freuen, wenn über dieses oft vernachlässigte Thema eine Diskussion in Gang käme.

 Am Anfang steht eine Frage: Kultur? Was ist das eigentlich? Die Antwort ist einfach: Alles, was das jeweilige Land ausmacht, ihm ein individuelles Gepräge gibt, das es von allen anderen Reichen unterscheidet (oder auch nicht), gehört in den Bereich Kultur.
Zu Beginn habe ich mir als Spieler die Frage gestellt: Wie soll das Reich aussehen, welche Ansichten sollen die dort lebenden Menschen von ihrem und anderer Leben haben? Jeder Spieler wird hier auf seine eigenen Vorlieben, Ansichten, Einstellungen zum Leben zurückgreifen, wenn er eine Kultur aufbauen will, die wirklich glaubwürdig ist. Denn:

 Es ist unmöglich, eine Kultur aufzubauen, an die man nicht glaubt. Diese Behauptung mag zunächst sehr absolut klingen und den 'schauspielerischen' Fähigkeiten eines Spielers unangemessen. Dabei lässt man jedoch unberücksichtigt, dass man selbst als Spieler in die eigene Kultur hineinwachsen muss, denn mit der Zeit wird die Kultur immer komplizierter und dann für denjenigen, der nicht 'in ihr lebt', wenn er über sie schreibt, unverständlich.
Das merkt man selbst nicht so gut, aber spätestens wenn man nach jahrelanger Kulturausarbeitung einen REP anwerben will und dieser nach stundenlangen Erklärungen und zig Seiten Briefwechsel immer noch nicht weiss, worum es eigentlich geht, wird man sich seiner eigenen Verstricktheit in die eigene Kultur bewusst. Und deshalb ist es auch eine Illusion, zu glauben, dass ich, wenn ich nun einmal in der realen Welt glaube, dass "Gut" und "Böse", "Licht" und "Finsternis" nur von Menschen gemachte Unterscheidungen sind, die nicht absolut sind und mit der Realität wenig zu tun haben, dass ich dann in einem fanatischen Licht- oder Finsterreich glaubwürdig Kultur schreiben kann.
Auch ein Finsterreich hat seine auf seine Art glaubwürdige Philosophie, und Reiche, die das wahllose Umbringen von Menschen fördern bezeichnen sich zwar zu Recht als finstere Reiche, aber glaubwürdig wirken sie deshalb noch lange nicht: Was haben sie schon davon?

 Ein Reich wirkt nicht finster oder licht, weil es sich entschließt, sich so zu verhalten, sondern weil die dahinterstehende Weltanschauung kein anderes Verhalten zulässt. Weltanschauungen aber sind geschichtlich gewachsene Strukturen und haben meist einen praktischen Aspekt - am häufigsten den des Machterhalts.
Was ist praktisch am wahllosen Umbringen von Menschen? Wenn man alle umgebracht hat, hat man niemanden mehr, den man regieren kann., niemanden, den man in seine Kriege schicken kann (vom Standpunkt eines Finsterreiches aus gesehen), etc. Soviel also zum Thema Glaubwürdigkeit.
Kommen wir nun zu der Frage, die für mich DIE zentrale Frage einer Kultur ist: Wie gehen die Wesen, die in ihr leben miteinander um?

 Einige Beispiele sollen verdeutlichen, was damit gemeint ist: Angenommen der Bauer Avaric erschlägt seinen Nachbarn Balur, weil der ihn beleidigt hat. (Dieses Beispiel habe ich nur gewählt, um vom realen Standpunkt her die Schuldfrage eindeutig sehen zu können). In verschiedenen Reichen wird die Frage, was denn nun mit dem Mörder passiert, sehr verschieden beantwortet. Fragen wir zunächst einen Rechtsgelehrten aus Artakakima. Sein Kommentar:
 

"Balur erzeugte für die Gemeinschaft, in der er lebte, einen bestimmten Nutzen. Dieser ist nun nicht mehr da. Also muss Avaric für den Rest seines Lebens den Nutzen, den Balurs Gemeinschaft durch den Mord verloren hat, zusätzlich erbringen, das heisst, er muss doppelt so viel arbeiten, wie bisher."

 Wie man sieht, eine ganz eigene, phantasievolle Lösung des Problems, die man nebenbei gesagt auch in der realen Welt mal ausprobieren sollte.
Der Kommentar eines Elrhadain aus Rhyandi, Rechtsgelehrte gibt es dort keine, da es kein geschriebenes Gesetz gibt, fällt da schon ganz anders aus:

 "Der Mord ist zwar bedauerlich, aber was die Freunde und Angehörigen daraus machen, ist ihre eigene Sache. Es gibt keine Reichsorgane, die sich darum kümmern könnten und wollten. Warum hat Baldur nicht besser aufgepasst? Aber Avaric wird merken, dass man ihm von nun an in vielen Orten mit Misstrauen empfängt, und vielleicht entschließt er sich ja freiwillig, auszuwandern oder auf einem Abenteurerschiff anzuheuern..."

 Eine solche Ansicht erklärt für jemanden, der die Kultur kennt, den Kult, den man in Rhyandi um Waffen treibt, denn jemand, der sich nicht selbst verteidigen kann, ist im Zweifelsfall hilflos. Ein Rhyandi ohne Waffen käme sich auf offener Strasse etwa so vor wie jeder von uns, wenn man ihn nackt auf die Strasse schicken würde. Da Rhyandi mein eigenes Reich ist, dazu noch eine Bemerkung:
Meiner Ansicht nach ist dies die einzige Methode, um die Anzahl der Mordfälle effektiv zu verringern, denn sie ist die einzige, bei der der Mörder nicht nach der Tat erwischt werden muss, sondern das grösste Risiko bereits darin besteht, dass der andere sich zu gut verteidigen könnte. Denn: Welcher Mörder rechnet schon damit, erwischt zu werden? Keiner! Kommen wir nun zu dem Kommentar eines Juristen aus Muscae;. Er wird sagen:

 "Das ist ein eindeutiger Fall, für den unser Gesetz vorschreibt, dass der Mörder zum Tode verurteilt wird."

(Ob das stimmt, weiss ich im Moment nicht so genau, denn ich habe Muscaes Gesetzesschrift nicht im Kopf, sie steht aber im MBM2 oder 3) Eine das gleiche Ziel anstrebende, aber doch völlig andere Sichtweise äussert sich hier, die wohl den meisten von uns aus der realen Welt bekannt sein dürfte.
Diese Beispiele zeigen sehr deutlich, was die Begriffe "Ordnung" und "Chaos" auf der unteren, nämlich der politischen Ebene (in der Tat die unterste Ebene, die es gibt!), bedeuten. Muscae ist, sofort erkenntlich, ein Reich, in dem "Gesetz und Ordnung" herrschen. Artakakima ordne ich neutral ein, denn man urteilt nach einem Prinzip, dem des Nutzens für die Gemeinschaft, ohne sich aber auf eindeutige Gesetze festzulegen. Rhyandi ist hier chaotisch: Reichsorgane gibt es nicht für solche Vorfälle, 'der Staat' kann, da es ihn nicht gibt, auch nicht urteilen.
Zwischen diesen Extremen gibt es natürlich unzählige Abwandlungen, und es sollte der Phantasie jedes Spielers überlassen bleiben, seine eigene Note zu finden.
So, jetzt ist der kulturbewusste Spieler bereits sehr weit in seinen Gedankengängen fortgeschritten. Sehr viel von den weiteren Kulturausarbeitungen ergibt sich von alleine, bedingt etwa durch die geographische Lage. Auf diese Möglichkeiten werde ich zu gegebener Zeit zurückkommen. Jetzt soll uns ein andere echtes Problem beschäftigen: Namen!
Es gibt wenige Dinge in der Entwicklung einer Fantasy-Kultur, die so schwierig sind, wie das Finden von passenden, einigermassen gut klingenden und trotzdem nicht geklauten Namen. Man beschreitet hier mit Elan den Weg der freien Assoziation, nur um festzustellen, dass 90% der Namen, die man findet, nicht passen. Deshalb verlegen sich viele Spieler darauf, ihre Namen aus der Literatur zu entnehmen, und schlagen somit den unpassendsten Weg ein, den es gibt. Eine Kultur, die Namen aus der Fantasyliteratur in grossem Umfang verwendet wird niemals glaubwürdig wirken, denn die Namen werden nicht mit der neuen Kultur, sondern mit der Literatur assoziiert, so dass sie in der neuen Kultur an Eigenständigkeit verlieren. Wie also Namen erfinden?

 Es gibt hier zwei Wege. Der erste: Ich suche mir eine wenig bekannte real existierende Sprache, deren Klangfarbe mir ansprechend erscheint, suche mir Worte aus dieser Sprache und verändere sie leicht in Schreibweise, Klang oder Aussprache. Als Beispiel hierfür offenbare ich das Geheimnis der Entstehung meines bevorzugten Fantasynamens "Scaith mac Luand". Der erste Teil, gewissermassen der Vorname, ist gemäss oben beschriebener Methodik aus dem englischen Wort für Katze, cat, abgeleitet, der hintere Teil aus dem Namen einer irischen Stadt: Atha Luani (anglisiert: Athlone). Später stellte ich fest, dass 'de Luani' im irischen Montag, also Mond-Tag bedeutet, und freute mich darüber, ein weitere wichtiges Symbol meiner Kultur in meinem Fantasynamen wiederzufinden.
Der zweite Weg, Namen zu finden, ist der bereits erwähnte Weg der freien Assoziation. Es ist zunächst leichter, zeigt aber erst nach längerem herumprobieren akzeptable Ergebnisse. Hütet euch davor, zu glauben, gut klingende Namen kämen auf geheimnisvolle Art und Weise von alleine aus euren Gehirnen - das ist der seltenste  Fall (s.u.). Meist hat man die Idee zu irgendeinem Wort, aber muss es noch zehnmal im Munde herumdrehen, damit es klingt.
Auf diese Weise sind in meiner Kultur die Worte 'Elrhadain' und 'Rhyandi', der Reichsname selbst, entstanden. Das hervorstechendste  Merkmal solcher Namen ist, dass man ewig lange braucht, um sie zu finden, und wenn man sie schliesslich hat, beim besten Willen nicht mehr sagen kann, woher die Idee gekommen ist.
Drittens gibt es, gewissermassen ausser Konkurrenz, den seltenen Fall einer Eingebung, die man plötzlich hat. Plötzlich und scheinbar unmotiviert weisst du , so und nicht anders muss es heissen, denn es gibt kein anderes Wort, das den ganzen Inhalt dessen, was du benennen willst, in sich trägt. Dann hast du gewissermassen einen 'Wahren Namen' gefunden (für dich jeden- falls). Ich selbst bin auf diese Weise zu dem Namen der in Rhyandi verehrten  Göttin Ildru gekommen. Eingebungen lassen sich schwer oder gar nicht steuern, doch ist es auch hier möglich, die Assoziationskraft (das 'magische' Wissen) durch intensive Beschäftigung  mit alten Kulturen oder ausgewählten Werken der Fantasyliteratur zu erhöhen.
Namen sollen innerhalb einer Kultur zueinander passen. Wenn man etwa im 'Herrn der Ringe' die Sprache Mordors mit der Sprache der Elben vergleicht, so wird man sofort feststellen, dass sie - man verzeihe mir den Ausdruck aus der EDV - nicht kompatibel sind.
Das heisst, ein Wort aus der Elbensprache würde inmitten von vielen Wörtern aus der Sprache Mordors wie ein ausgesprochener Fremdkörper aussehen. Solche Fehler sind tunlichst zu vermeiden, es ist meiner Ansicht nach keineswegs abwegig, wenn man sich mit der eigenen Sprache an eine existierende Sprache anlehnt, aber gefälligst nur in der Klangfarbe, und niemals in den Worten.

 Da wir schon einmal beim Klauen sind, ein paar Worte darüber, wie man Kulturideen bekommt. Meiner Erfahrung nach gibt es hier eine Regel:
Jeder Spieler hat viele Ideen - die wenigsten davon, nämlich die besten, sind ausschliesslich auf dem eigenen Mist gewachsen. Die allermeisten Ideen, ob gut oder schlecht, haben irgendwo ein Vorbild. Schlecht wird es nur, wenn eine 'Idee' einfach abgeschrieben wurde. Einige Beispiele mögen dies verdeutlichen:
Es gibt auf Corigani das Reich Lonador, in welchem eine sogenannte Naturgeisterlehre existiert, die auf einzigartige Weise die Grundlage einer sehr stark natur - und pflanzenbezogenen Kultur bildet. Dies allein, und die Tatsache, dass sie wie selbstverständlich in die Kultur passt, macht diese Lehre zu einem ausgezeichneten, meiner Ansicht nach einer der besten Kulturideen. Darüber hinaus kenne ich kein real oder in der Literatur existierendes Vorbild für diese Idee - sie gehört in die Kategorie der wirklich neuen Dinge! Natürlich, ich kann niemals alles lesen, was an möglichen Vorbildern existiert, aber, und das ist der zweite Punkt, darauf kommt es nicht unbedingt an. Was gute Kultur auch auszeichnet: Sie darf im Ansatz geklaut sein, aber sie muss sich so gut in die bereits bestehende Kultur einfügen, dass man es entweder nicht merkt, oder dass es nicht darauf ankommt, weil alles so gut zusammenpasst. Kreativität in Kulturideen bedeutet nicht nur, möglichst viele wirklich neue Ideen zu haben, sondern auch, zu erkennen, wie gut existierende Ideen in die eigene Kultur hineinpassen!
Ein weiteres Beispiel zeigt uns, wie weit das Klauen etwa gehen darf:
Die Sozialstruktur des Reiches Aron lon Dorinam orientiert sich in starkem Masse an den Büchern 'Kinder der Stürme' von G.R.R.- Martin/Lisa Tuttle und 'Herrin der Stürme' von Marion Zimmer Bradley:
Die 'Windreiter', zuoberst die Herrscherin, stehen, ähnlich wie die Flieger in 'Kinder der Stürme' und die Psi-Begabten in 'Herrin der Stürme", an der Spitze einer Hierarchie. Ansonsten aber ist keine Terminologie übernommen worden, die 'Windreiter' haben auch nicht die gleichen Probleme wie die in 'Kinder der Stürme' oder 'Herrin der Stürme'. Obendrein passt sie (die Sozialstruktur) sehr gut zu der Verehrung der Winde, wie sie in Aron lon Dorinam betrieben wird. Und zuletzt passt auch die Tatsache, dass es Druiden gibt in den Gesamtaufbau, denn der Gott des Windes, Dondra, hat als Priester Druiden. Alles passt zusammen,  und ich bezeichne es noch als gut. Was mir weniger gefällt, ist, dass der Name der Herrscherin auch aus 'Herrin der Stürme' entnommen ist. Das sollte die Spielerin schnellstens ändern. Die dritte Kategorie beinhaltet all jene missglückten Ideen, die nicht so recht passen wollen oder ziemlich komplett übernommen sind. An dieser Stelle würde ich das Reich 'Cuicuilco' (Karnicon) einordnen, das eine ziemlich genaue Kopie der aztekischen Kultur ist - die Namen aus der aztekischen Mythologie, unverändert als Herrschernamen übernommen, und die unverändert aus den Geschichtsbüchern  entnommenen Abbildungen in der im MBM6 veröffentlichten Kultur sprechen für sich. Das, lieber Spieler, falls du dies lesen solltest, ist eine schwache Leistung, und ich als Spielleiter  hätte das nicht so ohne weiteres durchgehen lassen. Aber nimm’s nicht persönlich - schliesslich kenne ich dich gar nicht - oder doch?
Unsere Schlussfolgerung also: Kulturideen dürfen nie ganz, wohl aber im Ansatz aus einem Vorbild hervorgehen. Die besten Ideen sind nichtsdestoweniger die ganz neuen, welche aber sehr selten sind.
Und warum diese Beurteilung? Wenn ihr in der Literatur, oder in Berichten über alte Kulturen Dinge findet, von denen ihr sofort erkennt, dass sie hundertprozentig in eure Kultur passen, so wäre es schade, die Ideen sausen lassen zu müssen, nur weil sie nicht neu sind. Aber: Verändert sie, passt sie eurer Kultur ein wenig an, verändert Namen, Zeiten, Orte etc. Manchmal kann auch etwas unverändert übernommen werden. Hierfür ein Beispiel aus diesem MBM (9):
Auf der ersten Seite des 'Boten von Rhyandi' steht ein Spruch von Nietzsche. Diesen habe ich unverändert übernommen, weil ich bisher keiner so treffenden Charakterisierung der Rhyandi begegnet bin, die zugleich so poetisch formuliert ist. Da ich zu einer solchen Formulierung derzeit nicht fähig bin, und der Spruch hundertprozentig passt, habe ich ihn einfach übernommen und einem rhyandischen Dichter zugeschrieben. Ehrlicherweise sollte aber die reale Quelle nicht verschwiegen werden., wenn wörtliche Zitate übernommen werden.
Genug dieser Problematik, wenden wir uns nun dem Zentrum einer Kultur zu, nämlich dem Wertesystem und der Religion. Eine Religion repräsentiert das vorherrschende Wertesystem einer Kultur und ist aus diesem Grund in fast jedem Ausdruck der Kultur symbolisch enthalten! Sie ist nicht immer ein transzendentaler überbau, muss keine personale Gottheit postulieren, sondern einzig und allein die Frage beantworten: Wie soll der Mensch leben?

 Da dies die wichtigste Frage im Leben der Menschen ist, findet man die Religion auch in jeder Kulturäusserung wieder. Man kann sogar anhand der Frage, welche Themen in einer Kultur am ausführlichsten behandelt und besprochen werden, Rückschlüsse ziehen auf die Religion. Im späten Mittelalter etwa gab es kaum eine künstlerische Ausdrucksform, die nicht christlich geprägt war. Und seht euch unsere reale Welt an: Versucht einmal, einen Kulturbereich  zu finden, in dem wirtschaftliche Fragen nicht auftauchen!
Es gibt sie fast nicht. Eine Nuance des wirtschaftlichen Denkens ist immer da. Das Geld, so schliesse ich, ist der Gott unserer heutigen Welt, Verkaufs- und Gehaltsverhandlungen sind religiöse Rituale mit eigenem magischem Gehalt., das gefüllte Bankkonto der Talisman und Glücksbringer, und die Banken sind die Tempel - nicht nur vom Aufwand her, der um ihren Bau betrieben wird. Nicht zuletzt sind die Banken heute genauso allmächtig, wie die Kirche es im Mittelalter war - und genauso machtgierig und skrupellos.
Aber zurück zu _Welt der Waben_. Bei der Entscheidung, welcher Art die Religion einer Kultur sein soll, befrage man ausschliesslich  die eigene Intuition, den eigenen Verstand. Die Frage, ob es eine Gottheit geben soll, und erst recht, ob diese Gottheit eine der in der WdW-Regel enthaltenen 'Alten Götter' sein soll, ist völlig unerheblich, denn eine Religion wirkt nicht dadurch, dass eine Gottheit vorhanden ist, sondern dass an Werte und u.U. eine Gottheit geglaubt wird.!
Indem man glaubt, erkennt man eine Wirkung desjenigen, woran man glaubt, auf die eigene Persönlichkeit an, und diese Wirkung ist auch dann da, wenn das geglaubte nicht existiert. Im Grunde ist der letzte Satz sogar ein Widerspruch, denn es gibt alles, woran geglaubt wird. Ich sage: 'Gott schuf der Mensch nach seinem Bilde', und wenn ich glaube, dass eine Gottheit existiert, dann handle ich so, dass die Werte, die diese Gottheit repräsentiert, berücksichtigt werden. Die imaginäre Gottheit hat also eine Wirkung auf mich. Was aber eine Wirkung hat, ist real, existiert.
Die Unsitte der zentralen Spielleitung, in bestimmten Kulturen entstandene Gottheiten als blosse Inkarnationen einer begrenzten Anzahl real existierender Götter zu betrachten, verkennt diese Tatsache und versucht, das unendliche Spektrum menschlicher Wertvorstellungen in ein starres Korsett aus Konventionen zu zwängen. Eine Gottheit ist höchstens die kollektive Inkarnation des Volkes, das an sie glaubt!
Wer also seiner Kultur eine Religion verpassen will (und wer will das nicht?), der tut gut daran, Kapitel 7 der Spielregel vorher nicht zu lesen, oder als phantasievolle Anregung zu betrachten. Aus der Religion heraus können einige kulturelle Fragen beantwortet werden. Da ist zunächst die Frage nach der Orientierung zwischen Ordnung und Chaos auf höherer Ebene. Glaubst du an eine höhere Ordnung? Glaubst du gar, dass diese Ordnung absolut und unveränderlich durch den Menschen ist? Dann bist du ein Vertreter des Prinzips der Ordnung. Glaubst du, dass es keine höhere Ordnung gibt, dass die persönliche Freiheit alle höhere Ordnung verneint und verneinen soll? Glaubst du daran, dass das Veränderungspotential  der Welt unendlich ist, dass anstatt des statischen 'Sein' das dynamische 'Werden' wichtig ist? Glaubst du daran, dass es keine absolute Wahrheit, keine absoluten Werte gibt? Dann bist du ein Vertreter des Chaos. Glaubst du daran, dass wiederum diese Urteile von Menschen gemachte Unterscheidungen sind und mit der Realität nur wenig zu tun haben, oder dass es sie gibt, aber dass der Ausgleich zwischen beiden notwendig ist? Dann bist du ein Vertreter der Neutralität zwischen Ordnung und Chaos! Ferner beantwortet die Religion zumindest tendenziell folgende Fragen:

  • Wie verhält sich die Bevölkerung zu Andersdenkenden?
  • Welcher Art ist im Normalfall die Aussenpolitik des Reiches?
  • Welche Verbrechen werden hart, welche weniger hart bestraft?
  • Gibt es Tabus, und wenn ja, welcher Art und warum?
  • Gibt es grosse Unterschiede im Sozialstatus der Menschen?
  • Worauf beruhen unterschiedliche Sozialstati?
  • Welche Chance haben 'Aussteiger' in deiner Kultur, unbeschadet zu überleben?

 Diese Fragen nur als Anregung, es gibt ihrer viele. Ein Beispiel dafür, wie diese Fragen die Wertestruktur einer Kultur berühren: Wie ist eine Kultur zu beurteilen, in der das fälschen von Geld härter bestraft wird, als das Vergewaltigen einer Frau? Was sagt uns dies über die vorherrschenden Werte? Was sagt uns die Tatsache, dass ein Reich am ehesten aussenpolitisch niedergezwungen werden kann, wenn man droht, den Handel mit ihm einzustellen? Undsoweiter, etcetera pp.....

 



dm, Juli '96 (letzte Änderung: März '97)